LUDWIG MERZ
Der »Trutzkaiser« oder »Stern«
Ein Bollwerk der Heidelberger Stadtverteidigung
Motto:
Felixque piusque est celsam speculam Fridericus in ordine primus,
Cui dedit aeternum felix vietoria nomen, Tutelam populi Gaisbergo monte locavit Cum clandestinos ageret vis belliea motus.
]osef Tanneberg

Wer sich rasch dem Getriebe des Verkehrs am Bismarckplatz in Heidelberg entziehen möchte, der begebe sich in den Stadtwald. Er erreicht diesen am schnellsten über den Stadtgarten, an dessen östlichem Ende ein Weg durch die "Wolfshöhle" hinauf zu den "Sieben Linden" führt. Rechter Hand weist ihn eine Wegkarte darauf hin, daß er hier den "Historischen Pfad" begeht. Dieser führt gelb-schwarz markiert über die ehemaligen Bergbefestigungen Heidelbergs und desgleichen über die gegnerischen Verschanzungen aus dem 30jährigen Krieg. Auf neun Schautafeln mit kurzem erklärendem Text sind diese Befestigungen nach zeitgenössischen Abbildungen in ihrer ehemaligen Form dargestellt. Gleich die erste Tafel zeigt die beiden Vorwerke "Trutzbayer" und "Trutzkaiser", die einst den Zugang vom Berg in die Stadt verwehrten. Während der erstere 1621 Tilly zum Trutz errichtet wurde, ist der "Trutzkaiser" bereits 1462 unter Friedrich dem Siegreichen erbaut worden. Der Kurfürst lag damals mit Kaiser Friedrich III. in Fehde und verlieh deshalb diesem starken Bollwerk den herausfordernden Namen. Das Vorwerk spielt bei allen Verteidigungen der Stadt eine entscheidende Rolle, und es fällt außerdem durch seine eigenartige Bauweise auf den Abbildungen der Stadt besonders auf. Von dem Bauwerk selbst ist nichts mehr zu sehen als der Hügel am Nordwesthang des Gaisbergs, auf dem es einst stand. Die folgende Abhandlung soll die Bauart und Geschichte dieses Wehrturms vergegenwärtigen.
Die Gestalt des Trutzkaisers ist selten und fremdartig. Diese Art von Türmen ist nur im 0rient und im Mittelmeerraum zuhause. Sie erinner an die Türme der Schachspiele. Der Bau verjüngt nach oben, was ihm Eleganz und Standfestigkeit zugleich verleiht. Ein poetischer Zeitgenosse zeichnete ihn damals als "männlich starken Turm". Der Grundriß bildet einen achteckigen Stern, bei einer späteren Umbenennung zu der Bezeichnung "Der Stern" führte. Die scharfkantigen, der Sternform entsprechenden Vorsprünge setzten sich ursprünglich im Dach fort und erweckten bei dem Beschauer den Eindruck der Leichtigkeit im Vergleich mit den üblichen Wehrtürmen. Die Kannelierung hatte einerseits den Vorteil, daß sie den Geschossen einen Teil ihrer Durchschlagskraft nahm und andererseits das Anstellen von Sturrnleitern erschwerte. Dadurch, daß die Schießscharten in einem Winkel lagen, wurde die Möglichkeit eines direkten Beschusses vermindert. Im Innern enthielt der Turm vermutlich eine Holzkonstruktion, insbesondere für die Kampfplattformen und Treppen. In dieser geschilderten Gestalt ist er auf allen Darstellungen bis zum Jahre 1620 zu sehen. Mir ist nur noch ein ähnliches Bauwerk bekannt. Auf einer Darstellung Merians von der Schlacht am Weißen Berg bei Prag findet man auf der linken Bildseite einen derartigen Wehrturm im sogenannten Tiergarten abgebildet. Eine diesbezügliche Anfrage in Prag blieb leider unbeantwortet. Sollte jemand unter den Lesern hierzu nähere Angaben machen können, so wäre ihm der Verfasser sehr dankbar.

  


Den Trutzkaiser hatte man bis zum Beginn des 30jährigen Krieges in allzu großer Sorglosigkeit sehr vernachlässigt. Die Darstellung Merians auf seiner Stadtansicht von 1620 zeigt ihn stark zerfallen als ein "alt Gebäu". Nach der Schlacht am Weißen Berg und der Flucht des "Winterkönigs", Kurfürst Friedrich V., nach Holland lenkte Tilly sein Heer in die Rheinpfalz. Angesichts der Gefahr begann der Kommandant van der Merven Heidelberg in aller Eile zu befestigen. In diesem Zusammenhang wurde der Trutzkaiser der neuen Kampftechnik entsprechend umgestaltet. Der teilweise eingestürzte Dachstuhl wurde entfernt, und an seine Stelle trat eine offene Kampfplattform mit vier Zugangs- und Wachttürmchen. Das Mauerwerk wurde ausgebessert, die Schießscharten verschmälert und die Umfassungsmauer verstärkt. Das Bauwerk gewann dadurch an Wehrhaftigkeit, verlor aber damit einen Teil seiner Formschönheit. Auf mehreren Abbildungen ragt zwischen den Wachttürmchen ein Mast empor, der ein ballartiges Gebilde trägt. Es könnte sich dabei um einen Signalkorb handeln, ähnlich wie er noch lange im Schiffsverkehr in Gebrauch war. Bei drohender Gefahr konnte er am Mast hochgezogen werden, um Stadt und Schloß zu warnen. In manchen Berichten wird der Turm auch als Warte bezeichnet, was die Errichtung einer Signalanlage begründen würde. Bei starker Vergrößerung ist allerdings auf der Darstellung Isselburgs von den Schanzarbeiten vor dem Speyerertor und weiterhin auf dem Belagerungsplan von Heyden das ballförmige Gebilde als Krone, in diesem Falle wohl die böhmische Königskrone, zu erkennen. Vielleicht handelt es sich dabei um eine Art Feldzeichen und Signal zugleich, das auf den Trutzkaiser gesetzt eine Herausforderung der kaiserlich-bayrischen Angreifer bedeuten mußte. Im Zuge des Ausbaus der westlichen Stadtverteidigung erhielt auch der Trutzkaiser eine zusätzliche Verstärkung. Sie bestand in einem M-förmigen, bergaufwärts gerichteten Schanzenriegel und einem Laufgraben mit Brustwehr, der bis zur Stadtschanze um den Blauen Turm an der südwestlichen Ecke zog. Durch einen Gang zu einem geheimen pförtchen am St. Annafriedhof konnte die Besatzung im Notfall unbeobachtet das Vorwerk verlassen. Während der Belagerung Heidelbergs 1622 durch Tilly hatten die beiden Vorwerke Trutzbayer und Trutzkaiser die Aufgabe, die Südwestflanke der Stadt gegen Angriffe vom Berge her zu schützen. Das Belagerungsbild von Merian und der zeitgenössische Bericht, die "Relatio hisrorica posthuma obsidionis Heidelbergensis", schildern bis in alle Einzelheiten die damalige Situation. Eine Wanderung auf dem eingangs erwähnten "Historischen Pfad" trägt zur Veranschaulichung der Vorgänge bei. Dem Bericht nach wurde um den Trutzkaiser bis zum letzten Augenblick geschanzt, und erst das einsetzende gegnerische Feuer vertrieb die Schanzenden. Im Laufe der Belagerung erfolgten nun mehrere schwere Angriffe auf die beiden Bergbefestigungen. Sie wurden unterstützt durch Batterien, deren Verschanzungen z. T. heute noch im Gelände sichtbar und gekennzeichnet sind. Am 16. September 1622 wurde von der Höhe des Gaisbergs das Signal zum Generalangriff gegeben. Von den Bergen, aus der Ebene und über den Neckar brach es mit einem Male los. Zuerst fiel der Trutzbayer, vermutlich durch Verrat eines fremdländischen Besatzungsmitgliedes. Jetzt richtete sich das gesamte Feuer auf den Trutzkaiser bis zu dessen Kampfunfähigkeit. Sehr hart wurde zur selben Zeit auch um eine dem Trutzkaiser vorgelagerte Dreiecksschanze gekämpft, das sogenannte "Krähennest". Weil seine Verteidiger es zu früh aufgaben, drohte der Kommandant mit einer Dezimierung, falls das Vorwerk nicht wieder zurückgewonnen würde. Es wurde zurückerobert und noch einige Zeit gehalten bis zum Fall des Hauptwerkes. Der Gegner drang daraufhin, unterstützt durch die kroatischen Reiter, die an einer Furt den Neckar überquert hatten, in die Vorstadt ein. Bald war auch die Altstadt genommen, und die Besatzung, die sich unter van der Merven auf das Schloß zurückgezogen hatte, mußte infolge ihrer geringen Zahl und mangels Munition kapitulieren. Die Stadt war im Verlauf des Krieges noch mehrmals bald im Besitz der Kaiserlichen, bald im Besitz der Schweden.
        

Der Sohn und Nachfolger des Winterkönigs, Kurfürst Karl Ludwig, versuchte mit Umsicht und Tatkraft die Not seines Landes zu mildern. Er vergaß dabei auch nicht, die Stadt wieder zu befestigen. So wurde u. a. auch der Trutzkaiser instandgesetzt. Der Trutzbayer wurde nicht mehr aufgebaut. Der Kurfürst, im Hinblick auf ein gutes Verhältnis zum Kaiser, versuchte fortan den Namen "Trutzkaiser" in die Bezeichnung "Sternschanze" umzuwandeln. Ein Chronist berichtet darüber: "Der Churfürst gab im Jahre 1666 im September einen scharffen Befehl heraus, des Inhalts, daß künftighin bey hoher Straff sich Niemend mehr gelüsten lasse, die neue Stern-Schantz ,Trutzkayser' zu heissen, und sollten diejenigen, so die einmal also nennten, um eine Ducat, zum zweytenmale um zwo zum drittmahl um drey Ducaten, zum viertmahl aber gar am Leibe gestrafft werden". Im Orleans'schen Krieg war das Schicksal der Sternschanz, alias Trutzkaiser, weniger ruhmreich. Zunächst zählte das Bollwerk mit zu den bedeutenden Wehranlagen, die nach dem kampflosen Einzug der Franzosen von den Pionieren Melacs gesprengt wurden. Nach deren Abzug wurden die Befestigungen notdürftig wiederhergestellt. Zu Beginn des Feldzugs im Mai 1693 übertrug der Oberbefehlshaber Markgraf Ludwig von Baden dem General Hedersdorf die Verteidigung der Stadt. In der Nacht des 18. Mai vernahm man auf der Sternschanz deutlich die französischen Heerpauken. In der Frühe erblickte man den Gegner bei Rohrbach. Es war eine Abteilung der unter Melac stehenden Reiterei. Melac pirschte sich persönlich in Begleitung von 4 Mann und eines Bauern, der den Weg zeigen mußte, an das Vorwerk heran. Nach dem Abfeuern eines Schusses, vermutlich um die Stärke der Bewehrung zu erkunden, zogen sich die Reiter eiligst wieder zurück. Die Sternschanz war mit rund 300 Mann besetzt, die unter dem Kommando des Oberstleutnants von Blixencron standen. Es war ihm befohlen worden, das Werk bis zum äußersten zu verteidigen und sich nur im höchsten Notfall zurückzuziehen. Am 21. Mai rückten die feindlichen Truppen auf den "Stern" zu, wurden aber durch Ausfälle der Besatzung zurückgeschlagen. Inzwischen hatte man 8 Geschütze gegen das Vorwerk in Stellung gebracht. Da erhielt von Blixencron am 22. Mai den ihm unverständlichen mündlichen Befehl, das Werk zu räumen. Er befolgte ihn nicht, bis eine schriftliche Order des Kommandanten folgte. Unter der Deckung von Bürgerschützen, die an der St. Annapforte postiert waren, vollzog man auf dem geheimen Weg die Räumung. Am 23. Mai gegen Tagesanbruch wurde dem Belagerer das Aufhören des Feuers aus der Stadtbefestigung verdächtig, und er beschloß, sich Gewißheit zu verschaffen. Gegen das Versprechen einer guten Belohnung näherten sich 5 Grenadiere behutsam der Sternschanze. Sie stiegen ungehindert über die Palisaden und schwenkten, als sie die Stellung geräumt fanden, ihre Hüte, riefen "vive le roi!" und winkten ihre Kameraden herbei. Unverzüglich setzte sich das Regiment "Picardie" in Bewegung und drang an verschiedenen Stellen gegen die Westmauer der Stadt vor. Die vorgelagerten Wälle wurden ohne Gegenwehr erstiegen. Das Speyerer Tor war nicht einmal verschlossen, und die Kanonen waren vernagelt. So kamen die eindringenden Truppen fast widerstandslos durch das Mitteltor in die Innenstadt. Die Verwirrung war unbeschreiblich, als sie die Stadtbesatzung auf dem Marktplatz überraschten. Hedersdorf gelangte, eingekeilt in die flüchtende Menge, zum Schloß. Der Zustand der Befestigungen war äußerst schlecht, die Haltung der Besatzung war unzuverlässig. Auch reichte der Proviant, zumal für die geflüchteten Bürger nicht aus. Ein Widerstand erschien aussichtslos, und daraufhin übergab der Kommandant das Schloß. Die weiteren Schicksale von Schloß und Stadt dürfen als bekannt vorausgesetzt werden, ein näheres Eingehen darauf würde den Rahmen des Themas sprengen.
Den Bericht möchte ich mit einem Auszug aus einem lateinischen Lobgedicht auf den "Trutzkaiser" schließen. Es wurde von dem Poeten und Praezeptor des alten Gymnasiums zu Heidelberg, Josef Tanneberg, verfaßt. Der pathetische Schluß blieb ein allzu optimistischer Wunsch. Er heißt: "Möge es feststehen, dieses Bollwerk, in keinem Krieg überwindbar, durch keinen Strahl bezwingbar. Möge der Turm ragen auf dem Gaisberg und als neuer Stern glänzen hoch über der Stadt. Möge er ein Leuchtturm sein den eigenen Völkern und den Feind fern halten von den Mauern." - Dem nun folgenden letzten Satz können wir voll beipflichten - "Möge das Werk des Friedens wieder aufblühen, und die Kriegsgöttin selbst möge gefesselt in neuen Ketten in die stygischen Sümpfe abziehen!"

Literaturhinweis:
Salzer, R.: Zur Geschichte Heidelbergs 1688-1689­1693, im Jahresbericht der Höheren Bürgerschule zu Heidelberg 1878 und 1879.
"Relatio hisroriea posthuma obsidionis heidelbergensis" mit Plan, bei Sigisen und Laromo, Frankfurt 1622.
Merz, L.: Befestigungen um Heidelberg 1622 "Ruperto-Carola" Band 20, Dezember 1956
Hinweis auf bildliche Darstellungen:
Belagerungsplan zur Relatio hisroriea ... von 1622 Große Stadtansicht von Heidelberg, Kupferstich von Merian 1620. Darstellung der Belagerung von Heidelberg, Kupferstich von Merian 1622. Befestigungsplan Heidelbergs aus dem Jahre 1622, Generallandesarchiv.

Aus: Ruperto-Carola, XIX Jahrgang, Band 42, Dezember 1967, Seiten 48 - 52